Georgische Dachlatten

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Der letzte Sonnenschimmer liegt über der gepflasterten Straße, die von mehr oder minder verfallenden Gebäuden umringt wird. Die Wegränder sind gesäumt von Kühen und Schafen, hier und dort findet sich ein Schäfer, alte Frauen schauen stutzig von ihren Holzbalkonen herab. Ein Mann zerlegt vor seinem Haus brüchige Dachlatten, indem er den Kanalrost in seiner Straße als Hebel benutzt. Er ruft uns herbei und fragt ob wir seine Toilette im Garten benutzen wollen. Wir enden in seinem vier Meter tiefen Keller.

Das was sich anhört wie das Intro eines zweitklassigen Psychothrillers ist jedoch nur ein Zeichen georgischer Gastfreundlichkeit. Der alte Mann zeigt uns stolz seinen Garten und noch lieber seinen Keller. „Den Keller haben damals ein Dutzend deutsche gebaut!“, verkündet er stolz. Hier in Asureti lebten einst deutsche Aussielder aus Schwaben, die vor rund 200 Jahren den langen Weg in den Südkaukasus auf sich nahmen. Amirani ist bis heute von der deutschen Ingenieurskunst begeistert, sein Keller sei nie wärmer oder kälter als achtzehn Grad. Ein Grund mehr, dass er dort seine Schätze lagert. In alten Holzregalen stehen unzählige Gläser mit eingelegten Gurken, auf dem Boden findet sich der ein oder andere Kartoffelhaufen wieder. Das Kostbarste sind jedoch seine hausgemachten Getränke – gut gettarnt in alten Wasserkanistern und Aloe Vera Flaschen.

Schnell zückt er einige Gläser und hält sie uns vor. Trotz des Risikos der Erblindung probieren alle fleißig seinen Cognac, der allerdings nur wenig mit seinem französischen Pendant gemein hat. Kaum abgesetzt sind die Gläser schon wieder gefüllt. Wir uns bemühen so viel Gastfreundschaft zu verarbeiten, doch die Frau von Amirani bringt schon eine bunte Sammlung an Hülsenfrüchten auf den Tisch, der vorhin noch einsam im Keller stand. Während der 75-Jährige einen Apfel schneidet erzählt er uns von seiner Vergangenheit in Frankfurt beim KGB und seiner Teilnahme am Vietnamkrieg.

Trotz dem europäischen Sonderweges Georgiens steht das Land vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen. Geringe Renten, hohe Jugendarbeitlosigkeit und ständige politische Umbrüche sorgen weiterhin für einer prekäre Situation innerhalb des Landes. Die Wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und westlichen Staaten sorgt für einen enormen Geldfluss in den Südkaukasusstaat und auch die transatlantischen Interessen sorgen für ein besonderes Augenmerk auf die Region. Wirtschaftlich bietet Georgien einen Zugang für Märkte in rohstoffreiche Länder wie etwa den Iran oder Aserbaidschan. Durch seine exponierte strategische Lage ist es für die Nato als eine Bastion vor Russland und dem mittleren Osten von großen Interesse.

In Amiranis Wohnort Asureti, einem kleinem Dorf wenige Kilometer vor Tiflis, scheinen die macht- und wirtschaftspolitischen Kämpfe um die Vorherrschaft in der Kaukasusregion kaum eine Rolle zu spielen. Vor allem die Situation im Norden des Landes scheint verfahren. Hier, wo die zwei abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien sich seit dem Kaukasuskrieg 2008 in einem Machtvakuum befinden und zu einer russisch-georgischen Pufferzone entwickelten. Der Westen beteuert die territoriale Integrität Gerogiens, eine wirkliche Lösung des Konflikts scheint jedoch in weiter Ferne.

Das Land bleibt der Schmelztiegel von Ost und West, von Orient und Okzident. Reich an Kultur und beschenkt mit einer atemberaubenden Landschaft zieht Georgien immer mehr Touristen in seinen Bann. Gastfreundlichkeit, wie wir sie in Asureti erlebt haben, ist keine Seltenheit. Doch das zweischneidige Schwert der touristischen Erschließung eines Landes, das irgendwo zwischen Traditionen und Kommerzialisierung schwebt, macht auch vor dem Kaukasus nicht halt. So zieren mittlerweile dutzende Geländebusse das Plateau vor der Gergetier Dreifaltigkeitskirche in der Nähe von Stepandzminda, einem beliebten Ausflugsziel im Norden mit Blick auf den Kasbeck. Hier wird eine neue Straße gebaut. Ganz zum Leidwesen der Einheimsichen, die bis dato Touristen über den einzigen unwegsamen Weg mit ihren Geländewagen zur Kirche beförderten und damit ihren Lebensunterhalt bestreiten.

In Tbilisi verdichten sich die Eindrücke von diesem vielseitigen Land. Auf der einen Seite alte Menschen, die versuchen mit Ramsch und Trödel ihre Rente aufzubessern. Auf der anderen Seite eine junge Generation, die aus den postsowjetischen Strukturen ausbrechen will und sich ins Nachtleben den Großstadt flüchtet. Die Clubszene in Georgien in groß. Das Bassiani gewann sogar den ein oder anderen Award vor den internationalen Größen wie dem Berliner Berghain. In der Keller Bar neben dem Vera Park unweit der Altstadt treffe ich zwei junge Georgier. Einen von ihnen befrage ich zur Situation im Norden des Landes. „Klar ist das scheiße, aber die Russen bringen Geld ins Land, und die meisten wollen hier einfach nur ein paar Tage Urlaub machen“, entgegnet er mir.

Ein paar Tage später komme ich während der Fahrt mit einem Taxifahrer ins Gespräch. Sein Englisch ist sehr begrenzt, aber er spricht sogar ein paar Worte Deutsch. Er beteuerte immer wieder „Georgia People good. Iwanischwili, President Schwein“. Die innenpolitische Situation ist durchaus unstetig. Vor allem in der Vergangenheit kam es immer wieder zu Korruptionsvorwürfen gegenüber Regierungsmitgliedern, ganze Ministerien wurden in Rundumschlägen umgelegt, Minister wurden eingesetzt und entlassen. Vor allem gegenüber der älteren Bevölkerung sind viele Reformen schwer vermittelbar. Würde man, wie seit einen Jahren geplant, einen TÜV in Georgien einführen, so würde gefühlt die Hälfte der Bevölkerung ihr Fahrzeug abgeben müssen.

Amirani braucht zum Glück kein Auto – das meiste stellt er ja ohnehin selbst her und wenn er mal in die Stadt oder übers Land will, gibt es da ja noch die Mashrutkas – kleine, gelbe Überlandbusse, die in ganz Georgien unterwegs sind. Bevor wir uns verabschieden füllt er uns ganz landestypisch einen halben Liter seines Selbstgebrannten in eine leere Fantaflasche. Wir geben ihm nach kurzen Widerworten 50 Lari für seine Gastfreundschaft – ein Drittel der durchschnittliche Monatsrente in Georgien. Er führt uns zurück auf die Straße und wendet sich wieder seinen Dachlatten zu und wir machen uns wieder auf den Weg zurück nach Tiflis. Mit einem ganzen Stück Georgien im Gepäck.

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